Fallbeispiel

Dr. Z. erhält für das Jahr 2018 einen Brief von santésuisse, wonach seine Kosten mit der neuen und mit der FMH vereinbarten Regressionsmethode 289% über dem Durchschnitt einer Vergleichsgruppe von Rheumatologen liegt. Der RSS-Index beträgt jedoch nur 125%. Dr Z. wird aufgefordert, die Kosten zu begründen. Im folgenden veröffentlichen wir den Wortlaut des Schriftverkehrs in anonymisierter Form.

Hier die Übersicht der Statistikdaten der Arztpraxis gemäss Angaben und Berechnungen von santésuisse vom 20.05.2020

Schreiben santésuisse vom 20.05.2020: ” Wir beziehen uns auf unsere bisherige Korrespondenz und frühere Vergleiche. Sie sind daher über die gesetzlichen Bestimmungen der Krankenversicherung gemäss Bundesgesetz (Art. 56 KVG) informiert. Gleichzeitig haben wir Sie in der Vergangenheit bereits über Ihre erhöhten Kosten ins Bild gesetzt.
In der Zwischenzeit liegen uns die Statistikdaten zum Geschäftsjahr 2018 vor und wir konnten
Ihre Werte überprüfen. Erneut wurde dafür der sogenannte Regressions-Index verwendet. Mit
dem Vertrag vom 23. August 2018 haben sich die FMH, curafutura und santésuisse auf eine neue
Methode zur Prüfung der Wirtschaftlichkeit der Praxisführung geeinigt: Diese Methode wird im
erwähnten Vertrag „Screening-Methode” genannt. Dabei handelt es sich um ein Regressionsmodell, das verschiedene Morbiditätskriterien Ihres Patientenkollektivs berücksichtigt. Die Screening-Methode bzw. der Regressions-Index ist auf diese Weise dem RSS- und ANOVA-Index überlegen, da mehr Merkmale Ihrer Praxis berücksichtigt werden. Es sind dies zum einen die Patientenstruktur (Alter und Geschlecht der Patienten), weitere Morbiditätskriterien wie die Franchise der Patienten, die Spitalaufenthalte im Vorjahr der Patienten und die Pharmaceutical Cost Groups (PCG). Zum anderen werden sowohl der Standortkanton als auch die Facharztgruppe des Leistungserbringers berücksichtigt. Aus diesen Berechnungen resultiert der Regressions-Index. Übersteigt der Regressions-Index den Wert von 120-130 Indexpunkten gilt der Leistungserbringer als statistisch auffällig, was zu einer detaillierten Überprüfung führt.
Wir verwenden deshalb den Regressions-Index bezogen auf die totalen Kosten zur Beurteilung
der Wirtschaftlichkeit Ihrer Praxisführung. Für das bessere Verständnis und die Vergleichbarkeit
zu den Vorjahren werden für Sie weiterhin der klassische RSS-lndex und der Anova-Index be
rechnet und ausgewiesen.


Wir stellen fest, dass Ihr Regressions-Index von 289 die Toleranzschwelle von 20 – 30 Index
punkten überschreitet und somit statistisch auffällig ist. Ihre Durchschnittskosten pro Erkrankten liegen somit massiv über dem Durchschnitt der Vergleichspraxen Ihrer Facharztgruppe und haben sich seit dem Vorjahr stark erhöht.
Sie erhalten Ihre individuelle Rechnungssteller-Statistik 2014 – 2018, woraus Sie die Kostensteigerung ersehen können. In diesem Zusammenhang bitten wir Sie, uns die Gründe für die Kostensteigerung zu erörtern und uns schriftlich Auskunft über möglicherweise bei Ihnen bestehende Praxisbesonderheiten oder andere Erklärungen zu geben. Bitte beachten Sie Ihre
Angaben stets zu Quantifizieren.
Gerne erwarten wir Ihre Stellungnahme bis spätestens am 15. Juni 2020 und danken Ihnen für Ihre Rückmeldung.
Freundliche Grüsse
santésuisse Wirtschaftlichkeitsprüfungen

Am 16.06.2020 schrieb der VEMS an santésuisse: ” Ich wurde von Herrn Dr. Z. beauftragt, Ihre Anfrage vom 20. Mai 2020 zu bearbeiten und die Korrespondenz darüber mit santésuisse zu führen. Die Vollmacht dazu finden Sie in der Anlage. Herr Dr. Z. ist der Meinung, dass er korrekt arbeitet und abrechnet. Eine Kostensteigerung anhand der Kosten pro Patient liegt gemäss der Statistik von santésuisse 2014-2018 nicht vor. Gegenüber 2017 gingen die totalen Kosten pro Patient gemäss den Angaben von santésuisse ja sogar um rund 300 Fr. zurück. Ihre Angabe einer Kostensteigerung für das Jahr 2018 ist somit nicht korrekt, das Gegenteil ist der Fall.
Es handelt sich somit lediglich um eine Steigerung des Regressions-Indexes, welcher
offensichtlich die realen Kosten nicht korrekt abbildet. Dies ist entsprechend gebührend
mathematisch zu berücksichtigen. Zudem war der RSS-Index für das Jahr 2016 mit 125%
im Zielbereich, den santésuisse vorgibt. Trotzdem wurde Herr Dr. Z. für das Jahr 2016
mit 8500 Fr. gebüsst, weil santésuisse irrtümlicherweise davon ausging, dass Herr Dr.
Z. im Jahr 2016 über dem RSS-Index Zielwert von 130% verarzten würde. Wir bitten Sie deshalb, Ihre Berechnungen besser zu plausibilisieren und behalten uns weitere rechtliche Schritte vor. Mit bestem Dank und freundlichen Grüssen”

Am 17.06.2020 schrieb santésuisse: ” Sehr geehrter Herr, Besten Dank für Ihre Email vom 15. Juni 2020, in der Sie uns Ihr Mandat von Herrn Dr. Z. mitteilen und auf unser Schreiben vom 20. Mai 2020 antworten. In diesem Schreiben haben wir Herrn Dr. Z. auf seine weit über dem Durchschnitt vergleichbarer Ärzte liegenden Kosten hingewiesen und Erklärungen dafür eingefordert. Konkret baten wir ihn um Angaben zu den Krankheitsbildern seiner Patienten, welche überdurchschnittliche Behandlungskosten begründen könnten.
In Ihrem Schreiben liefern Sie keine diesbezüglichen Informationen. Wir erwägen darum, eine Klage beim kantonalen Schiedsgericht gegen Herrn Dr. Z. einzureichen. Die darin zurückgeforderte Summe für nicht gerechtfertigte Leistungen würde wie folgt berechnet und 130’104 CHF betragen:

Um abzuklären, ob Praxisbesonderheiten von Herrn Dr. Z. vorliegen, welche seine Kosten erklären, und allenfalls über eine Rückzahlung zu verhandeln, möchten wir mit Ihnen und Herrn Dr. Z. ein Gespräch führen in unseren Büros in unmittelbarer Nähe des Hauptbahnhofs Zürich. Wir werden Sie in den kommenden Tagen kontaktieren, um ein solches zu vereinbaren. Wir bitten Sie ebenfalls, uns Angaben zu Praxisbesonderheiten von Herrn Dr. Z. möglichst schnell zukommen zu lassen, sollten solche trotz Ihrer Email vom 15. Juni 2020 dennoch vorliegen, denn die Verwirkungsfrist für die Eingabe von Rückforderungsklagen läuft Mitte Juli dieses Jahres ab. Unser Ziel ist, vorher eine bilaterale Lösung zu finden.”

Am 24.06.2020 schrieb santésuisse: ” Bezugnehmend auf unser heutiges Telefongespräch mache ich Ihnen das folgende Angebot: Die rechnerische Rückforderungssumme von Herrn Dr. Z, basierend auf verschiedenen Morbiditätskriterien, beträgt für das Statistikjahr 2018 rund CHF 130‘000. Praxisbesonderheiten bezüglich Patientengut / Krankheitsbilder liegen keine vor. Das Abrechnungsverhalten von Herrn Dr. Z ist nicht nachvollziehbar. Wir bieten Ihnen an, das Statistikjahr 2018 mit einer Rückzahlung von CHF 80‘000 abzuwickeln. Für das Statistikjahr 2019 haben wir die detaillierten Zahlen noch nicht. Die abgerechneten, von den Prämienzahlern der obligatorischen Grundversicherung bezahlten Tarife betragen aber wie im Vorjahr ca. 200‘000. Wir bieten Ihnen an, die Jahre 2018 und 2019 mit einer Rückzahlung von CHF 110‘000 abzuwickeln. Gerne erwarte ich Ihre Antwort auf unser Angebot bis am 29. Juni 2002.”

Am 06. Juli 2020 schrieb santésuisse: ” Danke für Ihre Antwort auf unser Vergleichsangebot. Da wir nun zumindest bruchstückhafte Angaben zur Aktivität von Herrn Z. haben, können wir Ihnen ein für ihn wesentlich besseres und letztes Vergleichsangebot machen. Die Grundlage dazu ist die Berechnung der Überarztung auf Basis des Regressionsindexes in der Gruppe der Psychiater. Demnach bieten wir Ihnen an, das Statistikjahr 2018 mit einer Rückzahlung von CHF 9‘000 und die Jahre 2018 und 2019 mit einer Rückzahlung von CHF 12‘0000 abzuwickeln. Geben Sie mir bitte bis am Mittwoch, den 8. Juli 2020, Bescheid, ob Sie das Angebot annehmen. Die Verwirkungsfrist zur Einreichung von Klagen läuft Ende dieser Woche ab.”

Am 09. Juli 2020 schrieb santésuisse: ” Es tut mir wirklich leid, zu vernehmen, dass Herr Z. schwer erkrankt ist. Ich wünsche ihm den bestmögliche Krankheitsverlauf, Ruhe und Erholung. Hinsichtlich unseres Vergleichsvorschlags muss dabei bleiben. Auch wenn es aus der persönlichen Perspektive von Herrn Z. vielleicht nicht leicht nachvollziehbar ist, sind wir dazu verpflichtet, unseren gesetzlichen Auftrag wahrzunehmen. Darum finden Sie im Anhang den von uns angebotenen Vergleich zur Prüfung. Wir sollten drei von Ihnen unterschriebene Exemplare bis spätestens am kommenden Montagmorgen an der folgenden Adresse erhalten, sollte die Klage nicht abgeschickt werden …”

Am 14.07.2020 schrieb santésuisse: ” Der von Ihnen unterzeichnete Vergleich ist wie vereinbart heute bei uns angekommen. Vielen Dank. Ich habe das Sekretariat in Solothurn damit beauftragt, die Klage gegen Herrn Z. zu vernichten. Ich bin froh, dass wir den Fall so lösen konnten und danke Ihnen, dass Sie Herrn Z. unterstützt haben. Es wird eine Weile dauern, bis Sie zwei Exemplare des von uns unterschriebenen Vergleichs erhalten infolge Ferienabwesenheit der unterschriftsberechtigten Personen. Herrn Z. wünsche ich rasche Linderung und eine bestmögliche Entwicklung seiner schweren Erkrankung. Freundliche Grüsse. “

Kurze Zeit später verstarb Dr. Z an den Folgen seines schweren Schlaganfalls. Daraufhin verzichtete santésuisse auf alle Rückforderungen.